Die Geschichte der Amsterdamer Grachten

Ein geschütztes System – die großen Grachten von Amsterdam

Brücken und Wege auf dem Wasser animierten die Menschen schon im ausgehenden Mittelalter, vom “Venedig des Nordens” zu sprechen. Die Lagunen-Metropole an der Adria war und ist das Sinnbild eines Lebens auf und mit den Fluten des Meeres. Doch zu der Stadt der Dogen gibt es Alternativen: Brügge, der kleine holländische Ort Giethorn und vor allem Amsterdam. Das dortige verwirrende System der Kanäle ist weltberühmt und verleiht der City ein ganz besonderes Flair. Das sogenannte “Goldene Band” macht Amsterdam, wo der Fluss Amstel ins Ijsselmeer mündet und wo der geschäftige Hafen der Stadt durch einen Kanal mit der Nordsee verbunden ist, zu einer der bemerkenswertesten Sehenswürdigkeiten des Kontinents. Und wer die historischen Bürgerhäuser mit ihren schönen Giebeln bewundern möchte, der sollte sich als Besucher der Stadt zu einer Grachtenfahrt entschließen.
Ein einstiger Maurermeister namens Frans Hendricksz Oetgens van Waveren spielt in der Geschichte der Amsterdamer Grachten eine überragende Rolle. Der hatte Sitz und Stimme im Vroedschap, dem Magistrat dieser Stadt. Oetgens hatte sich damit den Ehrentitel “Vroedman” erworben, was so viel bedeutete wie “weiser Mann”. Und das war wohl wörtlich zu nehmen, denn Oetgens machte sich als amtierender Bürgermeister dafür stark, auf dem sumpfigen Gelände den Umbau des Grachtengürtels voranzutreiben. Das war in den frühen Jahren des 17. Jahrhunderts. Zwischen der Brouwersgracht und der Leidsegracht wurden nach und nach drei neue Hauptgrachten angelegt. Außerdem erfolgte die Anbindung der Amstel an das Netz der Wasserwege in der Form eines Halbmondes.
Jenseits der Amstel und östlich des historischen Stadtkerns entstanden Grachten, die noch heute eine wichtige Funktion in Amsterdam haben. Die neue Herengracht hatte eine Länge von rund 2.400 Metern und ist heute gesäumt von prächtigen Bürgerhäusern und den stattlichen Domizilen der Amsterdamer Kaufmannschaft. Dort etablierten sich aber einst auch die Werkstätten der “Reepschläger”, einem angesehenen und traditionellen Beruf der Hersteller von Schiffstauen. Die Reeper mit ihren dicken Trossen gaben im übrigen auch der Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli ihren Namen. Die Herengracht in Amsterdam wurde deshalb so genannt, weil damit der städtische Adel, der sich zumeist aus den Familien der Patrizier rekrutierte, geehrt werden sollte.
Zu den historischen Grachten Amsterdams, die der Ideenschmiede des Frans Hendricksz Oetgens van Waveren entsprangen, zählt neben der Herengracht aber auch die Keizersgracht als mittlere der drei wichtigsten Wasserstraßen der Stadt, die ihre Ursprünge ausnahmslos Mitte des 17. Jahrhunderts hatten. Der “Kaisergraben” ist sehr breit und 2,7 Kilometer lang. Er wurde zu Ehren von Maximilian I. so genannt, der aus dem Geschlecht der Habsburger stammte und zwischen 1508 und 1519 römisch deutscher Kaiser war. Er trug den Beinamen “der letzte Ritter”. Die Keizersgracht ist noch heute in einigen Bereichen schiffbar und wird von insgesamt vierzehn Brücken überspannt. Im Rahmen einer erlebnisreichen Grachten-Rundfahrt wird natürlich auch die Keizersgracht passiert. Und damit auch die Ostfassade der Westerkerk, deren Westturm ein Touristen-Magnet und mit seiner Höhe von 85 Metern weithin sichtbar ist. In den Sommermonaten kann man ihn bis zur Plattform unter der Kaiserkrone besteigen. Die Amsterdamer gaben dem Turm einen Spitznamen: Langer Jan. Im nördlichen Teil der Westerkerk fand unter anderem der Maler, Radierer und Zeichner Rembrandt van Rijn seine letzte Ruhestätte. Die Grundstücke an der Keizersgracht sind ausnahmslos schmal und tief, und die Häuser wurden im typischen altholländischen Stil errichtet.
Die Prinsengracht ist jene Wasserstraße des Amsterdamer Grachtengürtels, die am weitesten von der Altstadt entfernt ist. Im Haus Prinsengracht 263 bis 267 erinnert ein Museum an das Leiden und an die Geschichte des Holocaust-Opfers Anne Frank. Hinter der Fassade aus dem 17. Jahrhundert versteckte sich Anne Frank in den Jahren der Judenverfolgung und der deutschen Besetzung in abgedunkelten Räumen. Hier verfasste das junge Mädchen ihr Tagebuch, das zu einem Weltbestseller wurde und das man in nicht weniger als 55 Sprachen übersetzte. Am 4. August 1944 wurde das Versteck der Franks an der Prinsengracht von der Gestapo entdeckt. Die Familienmitglieder kamen in einem Konzentrationslager ums Leben. Das Anne-Frank-Haus an der Gracht wurde im Jahr 1999 als Museum von der holländischen Königin Beatrix eröffnet.
2010 fand der Amsterdamer Grachtengürtel Aufnahme in die Liste der Weltkulturerbe der UNESCO. Das, was im Mittelalter dem Warentransport der Schiffe – unter anderem nach Übersee – diente, ist heute zweifellos eine touristische Sehenswürdigkeit erster Klasse. Auf den zumeist stillen Fluten der Grachten verkehren die Ausflugsboote nahezu im Takt von Minuten. Diese interessanten Touren kann man an diversen Haltestellen starten, und wer das Boot dann unterwegs verlässt, kann dort später wieder die Fahrt aufnehmen. Angeboten werden auch Ausflugsfahrten bei Nacht, wenn sich die Lichter der historischen Bauten in den Grachten spiegeln, zahlreiche der rund tausend Brücken illuminiert sind und so eine außergewöhnliche Stimmung herrscht.
Amsterdam liegt unter dem Spiegel des Meeres und war deshalb über Jahrhunderte anfällig für Naturkatastrophen. Doch Aufschüttungen und Deiche bändigten die Urgewalten, und die Häuser der Stadt an den historischen Grachten stehen nun schon seit langer Zeit fest verankert auf Pfahlkonstruktionen. In einer Bauzeit von rund achtzig Jahren entstanden die wichtigsten Grachten eines geschützten und raffiniert erdachten Systems.
 
Heute gilt der Grachtengürtel in Amsterdam als ein Zeugnis des goldenen Zeitalters Hollands, als sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts Kaufleute der Stadt zur Niederländischen Ostindienkompanie zusammen schlossen und ein einzigartiges Imperium der Wirtschaft gründeten.
Ausgehend von den Grachten in Amsterdam wuchs das Land zu einer der führenden Seehandels-Nationen der Welt. Heute ist der Grachtengürtel mit seinen zahlreichen Nebenkanälen und eindrucksvollen Giebelhäusern ein beliebter Wohnsitz wohlhabender Bürger der Stadt.
Und wer eine Grachtenrundfahrt gebucht hat, der kann nur ahnen, das sich hinter den Kulissen der Bürgerhäuser schöne Salons und auch einige Gärten verbergen, die zu den barocken Perlen dieser interessanten Stadt zu zählen sind.

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